Ivo Saliger: Tod und Mädchen

Atem(be)raubend

Ivo Saliger
Tod und Mädchen
um 1920
Farbradierung; 65 x 48 cm

Zur Grafischen Sammlung des Museums für Sepulkralkultur zählt eine Radierung des 1894 in Königsberg geborenen und 1987 in Wien verstorbenen Malers und Grafikers Ivo Saliger. Ihre Darstellung knüpft an das traditionsreiche Totentanz-Thema und das dort herausgelöste Motiv „Tod und Mädchen“ an. Charakteristisch für dieses bereits im 16. Jahrhundert entstandene Motiv ist seine zum Teil recht derbe erotische Komponente: dem mitunter gänzlich nackt dargestellten weiblichen Körper nähert sich der Knochenmann begierig. Die Weiblichkeit gilt dabei als Ausdruck des Lebens, der Sünde und damit gleichfalls der irdischen Vergänglichkeit. Während sich „Tod und Mädchen“ nebst anderen Bildfolgen des Totentanzes bis heute als adäquate künstlerische Sujets zur Darstellung des unausweichlichen Todes im Sinne eines Memento mori präsentieren, mag es sich bei Saligers Motiv zusätzlich um die Kompensation eigener, persönlicher Trauer handeln.

Eine ähnliche Radierung mit dem Motiv „Tod und Mädchen“, ergänzt um die Darstellung eines Arztes, schuf Ivo Saliger im Juni 1920. Später, in einem Brief, gab Saliger als Beweggrund dafür die lange Krankheitsgeschichte seiner Schwester und deren Tod im April 1920 an. Aus dieser Schaffensperiode stammen auch die Radierungen „Todesbannende Röntgenbestrahlung“, „Todeskampf“ und „Der Arzt“. Unabhängig vom Thema „Tod“ bildeten Aktdarstellungen, neben Landschafts- und Genreszenerien, das Hauptthema in Saligers Werken. Bedauerlicherweise avancierte er damit zu einem bevorzugten Künstler der NS-Kunstpolitik, zumal sich seine Darstellungen der von den Nationalsozialisten propagierten neuen Kunst, also einer Kunst des "nordisch-arischen Volkes" – eine Heimatkunst, die nach damaligem Art- und Rassenbegriff keinerlei „Entartungen“ zuließ –, zunehmend anpassten. Beispielsweise repräsentierten Saligers Frauengestalten während der NS-Diktatur immer stärker das dereinst anvisierte weibliche Schönheitsideal mit den ihm zugewiesenen Eigenschaften wie Vitalität, Pflichtbewusstsein, Mutterschaft und Hingabebereitschaft. Typische gestalterische Kennzeichen dafür sind die auffällige Plastizität und Glattheit weiblicher, oftmals gar seelenlos wirkender Körper.

Von einer derart perfektionistischen Darstellung ist die hier vorgestellte Radierung jedoch (noch) entfernt, unter anderem weil die Frauengestalt längst nicht so „glatt“, hingabebereit und offensiv wirkt, wie es in einigen späteren Werken Saligers der Fall ist, wie etwa in dem 1939 entstandenen Ölgemälde „Das Urteil des Paris“ oder dem Gemälde „Die Rast der Diana“ von 1940. Abgesehen davon gehört der (personifizierte) Tod in dieser Zeit nicht mehr zu Saligers Themen-Repertoire. Insgesamt ging Ivo Saligers künstlerische Bedeutung nach dem Krieg zurück. Einerseits, weil sich seine Arbeiten in den 1930er-/1940er-Jahren mehr und mehr verflacht hatten, andererseits, weil Distanz gegenüber einem Künstler geboten war, dessen Karriere unter nationalsozialistischer Herrschaft einen gewaltigen Schub erfahren hatte. Ob Ivo Saliger tatsächlich mit der NS-Ideologie konform ging oder „nur“ ein Mitläufer um des eigenen Überlebens und künstlerischen Schaffens willen war, ließ sich nie wirklich klären. Wichtig ist es gerade deshalb, die Hintergründe seiner Arbeiten – soweit erfassbar – darzulegen, um deren äußerst heterogene Qualitäten enträtselbar zu machen.

keyboard_arrow_up

facebook youtube instagram

Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V.

Zentralinstitut für Sepulkralkultur

Museum für Sepulkralkultur

Weinbergstraße 25–27
D-34117 Kassel | Germany
Tel. +49 (0)561 918 93-0
info@sepulkralmuseum.de

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst
Kassel Documenta Stadt
EKD
Deutsche Bischofskonferenz
Berlin
Loading...