Rosenpathos

Liebe und Schmerz – Eine Gratwanderung

Heide Pawelzik, Rosenpathos, 1992
Stahl, Rosenblüten, Asche, Leim; Stahlform: 240 x 120 x 15 cm

Im Sommer 2005 übernahm das Museum für Sepulkralkultur die Plastik „Rosenpathos“. Die Plastik war Teil einer Ausstellung, die der Arbeitskreis gegen die Todesstrafe von amnesty international Hamburg 1993 konzipiert hatte. Die Kunstausstellung „Hört auf, lasst mich Luft holen …“ sollte die Auseinandersetzung mit der Todesstrafe und der emotionalen Ebene der Grausamkeit anstoßen und das Unmenschliche begreiflich zu machen versuchen. Das Sonderausstellungsprogramm des Museums für Sepulkralkultur widmet sich jenen Sachverhalten im Umgang mit Sterben, Tod, Trauer und Gedenken, die in den Bereichen der Dauerpräsentation nicht tiefer behandelt werden können. Insbesondere die vielfältigen Facetten des gewaltsamen Todes konnten und können bis heute nur fragmentarisch dargestellt werden. Denn viel zu verschiedenartig sind die Themenbereiche, die zwingend in einem Haus veranschaulicht werden müssen, das sich dem Wandel und den Kontinuitäten in der Bestattungskultur verpflichtet sieht. Mit der Übernahme der Hamburger Ausstellung zeichnete sich dann 1993 die Gelegenheit ab, den Museumsbesucher*innen die Möglichkeit zu bieten, sich auch mit dieser brutalen Form des Sterbens auseinanderzusetzen.

Von Heide Pawelziks "Rosenpathos" geht eine eigentümliche Stille aus. Die Arbeit verzichtet auf das vordergründig Vorwürfige und Anklagende. Auf subtile Weise werden Trauer und verhaltener Schmerz vermittelt, die weit über die Todesstrafe hinaus auf den Tod an sich verwiesen. Leider stellte sich heraus, dass gerade dieses Werk viel zu fragil war, um es häufiger zu transportieren. Es stand deshalb für nachfolgende Stationen nicht zur Verfügung. Umso größer war die Freude, als die Arbeit von Heide Pawelzik nach Jahren dem Museum für einen dauerhaften Verbleib angeboten wurde.

Blüten im Detail
Blüten im Detail
Foto: Frank Hellwig
© © Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv
Der Rosenpathos auf der Mittelebene des Museums
Der Rosenpathos auf der Mittelebene des Museums
Foto: Frank Hellwig
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv

Schon vor der Ausstellung wussten wir: Heide Pawelziks „Rosenpathos“ wird eines der Ausstellungsstücke sein, an dem sich in erster Linie kunstinteressierte Besucher*innen reiben werden. Schon im Titel der Plastik klingt eine irritierende Ambivalenz an. Nach der Großsprecherei in der Denkmalplastik und Grabmalkunst des 19. Jahrhunderts legt die Bezeichnung „Rosenpathos“ nahe, dass das Werk ironisch verstanden werden möchte: Die Rose als sentimentales Zeichen für die Liebe und das Pathos im Sinne von „pathetisch“ als aufgeregte, theatralische Ergriffenheit. Doch der Plastik von Heide Pawelzik fehlt alles Witzige. Die strenge klare Konzeption lässt stattdessen vermuten, dass der Titel ernst gemeint ist – obwohl er alles andere als eingängig ist. Er kommt eher sperrig daher, verbindet er doch ein universelles Sinnbild der Liebe und der Leidenschaft mit einem Begriff der klassischen Rhetorik, der als stilistisches Mittel der Sprache im Grunde das Gleiche beschreibt. So bedeutet im ursprünglichen Wortsinn „páthos“ Leid, Leiden, Schmerz und Unglück – aber auch Leidenschaft. Das Pathos ist seit Aristoteles neben den pragmatischen Argumenten und dem Ethos, also. der Glaubwürdigkeit des*r Sprecher*in, der dritte Bestandteil einer überzeugenden Rede und zeigt sich als emotionaler Appell an die Zuhörer*innen einer Rede. Somit erhebt der Begriff „Rosenpathos“ die Forderung, dass Leiden und Leidenschaft nicht verschämt, sondern mit Emphase vorgetragen werden. In der Arbeit selbst zeigt sich dieser Anspruch in der Monumentalität. Das „Rosenpathos“ besteht aus zwei Elementen: Einem Teppich aus Hunderten geschwärzter Rosenblüten und einem Rechteck, das sich aus fünf Stahlelementen zusammensetzt. Eine vertiefte Stahlplatte wird von vier kubischen Teilen gerahmt. Die Stahlplastik erscheint dadurch wie ein breit eingefasstes Grab. Der zum Boden hin abgesetzte Spiegel hat die gleichen Abmessungen wie der schmale Streifen des Blütenteppichs. Diese unmittelbaren Größenbezüge und die exakte Ausrichtung der Blüten auf die inneren Begrenzungslinien der Konstruktion erwecken den Eindruck, es seien schon alle Vorbereitungen für die Übergabe des Rosengevierts an die kalte, stählerne Gruft getroffen  worden. Doch durch den extremen Kontrast in der Beschaffenheit der Materialien wirkt die Anordnung nicht als einladende Geste, sondern als unbarmherzige Aufforderung. Die Rosen sind sämtlich mit einer Ascheschicht überzogen. Sie wirken durch die schwarze Blütenhaut wie ausgebrannt. Die Zartheit der Blüten ist verschwunden, doch ohne dass ihnen Zeit blieb, langsam zu verwelken. Die einstige Zartheit ist der Zerbrechlichkeit gewichen, ohne aber an Schönheit zu verlieren. Noch immer vermittelt sich in ihrer Anzahl das Üppige und Verschwenderische, das als etwas für immer Verlorenes fasziniert. Aber gleichzeitig möchte man sich abwenden. Denn das Verglühen der Leidenschaft ist als künstlerisches Thema durch die unzähligen Variationen in Filmen, Romanen, Songs und Schlagern ins Triviale abgeglitten und viele Menschen fühlen sich dadurch peinlich berührt. Und dennoch – quasi als Endlosschleife – taucht das Thema immer wieder auf. Bei dem Versuch der Künstlerin, mit dem "Rosenpathos" eine Metapher von großer Ernsthaftigkeit zu schaffen, verdeutlicht sie zugleich, dass die Suche nach einer plastischen Analogie von Trauer und Schmerz eine heikle Gratwanderung ist. Allzu leicht gleitet Pathos ins Pathetische ab und statt Gefühlen zeigt sich das Gefühlige, Sentimentale. Und dennoch hat angesichts der Universalität des Todes das Schöne als Gegenentwurf zum grausamen Faktum der Endlichkeit seine Berechtigung und darf mit Leidenschaft vorgetragen werden. Schon deshalb, weil aller Schönheit auch das Vergängliche und damit die Trauer innewohnt.

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