Künstlernekropole Künstlernekropole
Künstlernekropole
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv | VG Bild-Kunst, Bonn

Über die Künstlernekropole

Die Nekropole am Blauen See war das letzte große Kunstprojekt Harry Kramers. Hier sollen bis zu 40 Künstler*innen schon zu Lebzeiten ihre Grabmäler errichten. Über ein Jahrzehnt dauerte die Auseinandersetzungen mit Behörden und Naturschützer*innen bis 1992 diese Utopie doch noch Realität wurde.

Für Harry Kramer war sein Unbehagen gegenüber der Kunst im öffentlichen Raum der Ausschlag gebende Grund, im Naherholungsgebiet des Habichtswalds bei Kassel seine Vorstellungen seines Künstler*innenfriedhofs zu realisieren. So warf er um 1980 der Großraumplanung vor, Kunst zu instrumentalisieren, um mit ihr die sozialen Eingriffe in städtische Strukturen zu kaschieren. Er vertrat die These, dass die den Kunstwerken unterstellte Symbolfunktion dazu genutzt wird, den Unmut über städtebauliche Eingriffe auf die Kunstwerke zu richten. Das einzige Feld, in der Kunst zu ihrem unverwechselbar Eigenen findet, war nach Kramers Ansicht das des Totenkultes. Hier muss der*die Künstler*in nicht nach vordergründigen Inhalten suchen, da sich die Bestimmung des Kunstwerks ganz von selbst aufdrängt.

Man hätte etwas vermisst, wenn im Rahmen eines Projekts, in dem vierzig Künstler*innen zu ihren Lebzeiten an ihrem zukünftigen Bestattungsort ihr eigenes Grabmal errichten, Kritik am Bestattungswesen ausgeblieben wäre. Die viel zitierte Frage Harry Kramers, ob es nicht angemessener wäre, die Kadaver an Bussarde und Hunde zu verfüttern, anstatt sie dem*r Bestatter*in zum Beiseiteschaffen zu überlassen, war deshalb fast schon obligatorisch. Doch lag die eigentliche Absicht, die Nekropole durchzusetzen, darin, neben dem kritischen Hinterfragen der Bestattungskonventionen den ausgewählten Künstler*innen eine Möglichkeit zu bieten, frei aller Auflagen und auftragsmäßigen Verpflichtungen wieder authentische Werke zu schaffen.

Im September 1992 wurden als erste Monumente die Grabmale von Rune Mields und Timm Ulrichs errichtet. Arbeiten von Fritz Schwegler, Werner Ruhnau, Heinrich Brummack, Blalla W. Hallmann, Karl Oskar Blase, Ugo Dossi und Gunter Demnig folgten.

Wie in den Bestattungswäldern, die sich in Deutschland 10 Jahre nach der Einweihung des Künstler*innenfriedhofs etabilierten, dürfen in der Nekropole nur Aschenurnen beigesetzt werden. Indirekt strahlt die Nekropole auch in den Grabmalbereich aus. Durch sie hat das Grabmal an sich seine Bedeutung für die Kunst wiedererlangt, die es spätestens im 19. Jahrhundert verloren hat.

Ein neues Grabmal 2021

 

Pressemitteilung zur Einweihung der Lehmkuppel von Gernot Minke

 

Gernot Minkes Grabstätte in der Künstler*innennekropole

Es ist schon eine besondere Grabstätte, mit der sich der Architekt und Maler Gernot Minke in die Liste der Monumente von Rune Mields, Timm Ulrichs, Fritz Schwegler, Werner Runau, Heinrich Brummack, Blalla W. Hallmann, Karl Oskar Blase, Ugo Dossi und Gunter Demnig einreiht.

Denn im deutschsprachigen Raum gedenkt man der Verstorbenen traditionell mit Grabmälern und weniger mit Bauwerken. Grabbauten wie Gruftgebäude oder Mausoleen sind in Deutschland eher selten anzutreffen. Sie zählen zu den Raritäten in der deutschen Friedhofslandschaft. Umso mehr freut es mich, dass wir heute mit der begehbaren Plastik von Gernot Minke ein rein architektonisch gedachtes Kunstwerk einweihen. Mit seiner Kuppel knüpft er an eine Tradition im Umgang mit dem Totengedenken an, die in anderen Ländern Europas bis in die Gegenwart hinein beeindruckende Grabarchitektur entstehen ließ, die jedoch in Deutschland – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgegeben wurde.

Gernot Minke wurde 1937 in Rostock geboren. Von 1957 bis 1964 studierte er in Hannover und Berlin Architektur. Danach arbeitete er bis 1968 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Frei Otto, dessen weitgespannten Tragwerkskonstruktionen und Zeltbauten seinerzeit für Aufsehen sorgten und dessen experimenteller Ansatz bei der Formenfindung Gernot Minke prägen sollte.

In seiner Zeit als Professor an der Universität Kassel gründete Minke das Forschungslabor für experimentelles Bauen und realisierte weltweit über 40 Projekte im Low-Cost-Housing und beim ökologisch nachhaltigen Bauen mit erdgebundenen Bautechniken. Mit über 50 unterschiedlichen Gewölbe- und Kuppelkonstruktionen aus Lehm avancierte er zu einem weit über Europa hinaus anerkannten Lehmbauexperten.

Angesichts dieser Erfolge als Vertreter nachhaltigen Bauens übersah man meist die Malerei als einen weiteren künstlerischen Schaffensbereich Gernot Minkes. Doch spätestens im Zusammenhang mit seinen Lehmbauten zur documenta 14 „Erde - Raum - Klang 1 und 2“ präsentierte sich Gernot Minke einem internationalen Publikum mit seinen Meditationsbildern nicht nur als Architekt, sondern auch als Maler.

Die Grabstätte, die am 4. November 2021 in der Nekropole eingeweiht wurde, ist eine konsequente Weiterentwicklung des Kuppelbaus und des Turms, die Minke für die documenta 14 konzipiert hatte. Damit ist am Blauen See erstmals zweckfreie Architektur entstanden, d. h. ein Bauwerk, dessen Architektur von jeder Funktionalität entbunden ist. Der Kuppel fehlt jegliche vordergründige Zweckmäßigkeit. Sie soll niemanden beherbergen oder beschützten, sie ist nicht als Veranstaltungsraum konzipiert oder als Unterkunft, obwohl sie entsprechend genutzt werden könnte.

Die Atmosphäre des Baus und das Raumerlebnis werden somit nicht durch die Funktionalität geprägt, sondern entstehen und verändern sich mit den Menschen die ihn betreten, wie sie sich auf den Raum, seine Temperatur, seine Akustik und Textur einlassen, wie sie dieser Erfahrung Ausdruck verleihen oder wie sie den Raum bespielen.

Der runde, mit Bruchsteinen gefasste Eingang veranlasst die Besucher*innen, sich beim Betreten des Raumes zu verneigen. Beim Aufrichten ermöglicht ein großes Opaion im Scheitelpunkt der Kuppel den Blick in den Himmel. Der Boden aus Basalt, der sich zum Zentrum hin absenkt, verbindet die Anwesenden mit der Erde. Die abgerundeten Formen der Ziegel aus Stampflehm tragen wesentlich zur besonderen Akustik des Raumes bei. In ihre Schichtung erinnern sie an Tholoi, kupfer- und bronzezeitliche Kuppelgräber mit ihren Kraggewölben aus Bruchsteinen, die im ganzen Mittelmeerraum verbreitet waren.

Die Werkstoffe Lehm, Stroh und Stein unterstützen das architektonische Konzept, das in seiner archaischen Anmutung auf etwas Überzeitliches verweist und dadurch die Möglichkeit eröffnet, sich als Teil von etwas Größerem zu begreifen. Es sind Materialien, die nicht nur für früheste Kulturerzeugnisse genutzt wurden, sondern auch in Schöpfungsmythen erscheinen. Als Werkstoffe sind sie durch Zerfall und Vergehen entstanden. Als Sedimente bildeten sie hier die Grundsubstanz, aus denen Neues geschaffen wurde und das, unter günstigen Umständen, lange Zeit überdauert wird, bevor es selbst irgendwann einmal verschwinden wird.

Gernot Minke hat mit der Kuppel einen Ort der Kontemplation geschaffen, der mit seinen 24 Sitzen zum längeren Verweilen einlädt, sei es zum gemeinschaftlichen Meditieren, Singen oder um sich auszutauschen. Als begehbare Plastik, die von jedem betreten werden kann, war Gernot Minkes Kunstwerk von Anfang an partizipativ gedacht. Gleichzeitig ist mit dem Kuppelbau ein geschützter Raum an einem öffentlich zugänglichen Ort entstanden, der als Grabstätte anregt, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen oder sich mit dem zu beschäftigen, was man verloren hat oder irgendwann verlieren wird.

Gerold Eppler

 

Erstmals ein Denkmal 2021

 

Pressemitteilung zur Einweihung des Denkmals für Manfred Schneckenburger

 

Denkmal für Manfred Schneckenburger in der Künstlernekropole eingeweiht

Würdigung für den im Dezember 2019 in Köln verstorbenen Manfred Schneckenburger: Am heutigen Freitag, 18. Juni 2021, wurde in der Künstler-Nekropole ein Denkmal für den zweifachen documenta-Leiter eingeweiht. Entworfen hat es der Künstler Ugo Dossi.

Manfred Schneckenburger war auf vielfältige Weise mit der Nekropole verbunden. Bereits am 25. April 1985 nahm er an der Gründungsversammlung des Fördervereins Künstler-Nekropole teil. Bis zur Realisierung von Harry Kramers Utopie von einem Bestattungsplatz für Künstle – denn ein Friedhof wie die Nekropole war aus formalrechtlichen Gründen bis zum 1. Oktober 1992 in Deutschland undenkbar – unterstützte Manfred Schneckenburger seinen Freund Harry Kramer auf dem Weg durch die Instanzen. Mit der Einrichtung der Stiftung Künstler-Nekropole 1992 wurde Manfred Schneckenburger Mitglied des Stiftungsrates.

„Prof. Dr. Manfred Schneckenburger hat die Idee der Künstlernekropole von Beginn an bis zu seinem Tod 2019 maßgeblich begleitet und ihre Umsetzung gefördert. Ich freue mich, dass seine Verdienste um diesen einzigartigen Ort im Habichtswald mit diesem Denkmal, das Schneckenburgers langjähriger Freund Ugo Dossi geschaffen hat, nun in besonderer Weise und an dieser Stelle gewürdigt werden,“ sagte Kulturdezernentin Dr. Susanne Völker bei Einweihung im Beisein des Künstlers Ugo Dossi, dem Kuratoriumsvorsitzenden Gerold Eppler, weiteren Mitgliedern des Kuratoriums und Ortsvorsteher Reinhard Wintersperger.

Für Manfred Schneckenburger spiegelte die Künstler-Nekropole Harry Kramers Kunstbegriff und dessen Vorstellung von künstlerischer Autonomie in letzter Konsequenz wider. Mit der Nekropole wollte Kramer für Künstler und Künstlerinnen die Möglichkeit schaffen, ihre Vorstellungen von Kunst frei jeder Einschränkung und abseits der Museen zu verwirklichen; mitten im Wald, an der Stelle, an der sie irgendwann bestattet werden. Dieser Idee fühlte sich Manfred Schneckenburger verpflichtet.

Entsprechend entwickelte er zusammen mit dem Kuratorium das Kunstprojekt am Blauen See nach Kramers Tod weiter. Für den Stiftungsrat, der sich 2020 neu konstituierte, war deshalb klar, dass diese Verdienste in der Nekropole einen sichtbaren Niederschlag finden müssen. Er beschloss somit einstimmig, Manfred Schneckenburger mit einem Denkmal hier vor Ort dauerhaft zu würdigen.

Eine Skulptur von Ugo Dossi wird von nun an neben den Grabmälern von Schneckenburgers verstorbenen Künstlerfreunden Karl-Oskar Blase und Heinrich Brummack die Erinnerung an den außergewöhnlichen Ausstellungsmacher und Hochschulprofessor wachhalten. Ugo Dossi, selbst zweifacher documenta- und Biennale-Teilnehmer, war mit Manfred Schneckenburger eng befreundet.

Ugo Dossis Arbeiten, die sich oft im Spannungsfeld von Wissenschaft und Kunst bewegen, loten sie doch auf subtile Art und Weise Grenzbereiche aus: Sei es, dass sie sich paranormalen Phänomenen widmen, sei es, dass sie Unbewusstes sinnlich erfahrbar oder Unsichtbares sichtbar machen.

Auch Dossis Denkmal für seinen langjährigen Freund oszilliert zwischen Materiellem und Immateriellen. Unverrückbar aus hellem Granit überragt ein Kelch den ein Meter hohen Sockel mit der Namensinschrift des Verstorbenen. Blickt man auf die Skulptur, erscheint in ihrem Umriss das Profil Manfred Schneckenburgers. Als Vexierbild bildet Ugo Dossis Kunstwerk somit die Lücke ab, die der Tod Manfred Schneckenburgers in der Kunstwelt hinterlassen hat. Gleichzeitig ist über das Profil der Dargestellte sichtbar und trotz seiner physischen Abwesenheit immer in der Nekropole gegenwärtig.

Stadt Kassel

 

Wir bieten Führungen zur Künstlernekropole für Kinder, Schulen, Fachleute oder Wanderlustige an! Auf den jeweiligen Seiten unter "Bildung & Vermittlung" finden Sie weitere Informationen.

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Ines Niedermeyer

Position: Sekretariat

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Fragen und Informationen

Gerold Eppler M.A.

Position: Stellvertretender Leiter, Museumspädagogik

Telefon: 0561 / 918 93 23

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Harry Kramer

25. Januar 1925  – 20. Februar 1997

(Anonymes Grab)

Als Künstler ist Harry Kramer weder einer Gattung noch einem Stil oder Genre zuzuordnen. Seinen Durchbruch hatte der Tänzer, Maler, Bildhauer und Filmemacher 1964 mit seinem „Mechanischen Theater“ im Rahmen der documenta 3. Dort zeigte Arnold Bode Harry Kramers kinetische Plastiken in der Abteilung „Licht und Bewegung“ zusammen mit Werken von Jean Tinguely, Nicolas Schöffer und Jesús Rafael Soto.

Harry Kramer beschäftigte sich als Begründer der Künstler-Nekropole in Kassel auf vielfache Weise mit dem Tod. Beispielsweise in seinem Film „Die Schleuse“, in seinen „Brotköpfen“ oder in seinen Schrifttafeln zur Apokalypse.

1997 wurde Harry Kramer anonym in der Nekropole beigesetzt.

Harry Kramer
Harry Kramer

E. R. Nele

*17. März 1932

Der Gang (2022)

Am 21. Juni 2022 wurde das Grabmal „Der Gang“ eingeweiht. Die Bildhauerin E. R. Nele, Tochter des documenta-Begründers Arnold Bode und Teilnehmerin der documenta-Ausstellungen 2 und 3, ist mit der Beschäftigung mit existentiellen Fragen vertraut. Betrachtet man ihr vielfältiges Gesamtwerk, stellt man fest, dass der Mensch an sich im Zentrum ihres künstlerischen Schaffens steht. Und das mit allem, was er als soziales Wesen erfährt: Lust und Lebensfreude, Solidarität und Vereinzelung, Leid und Vernichtung. Sichtbar werden Emotionen und innere Haltungen, die diesen Erfahrungen entspringen, bei den auf die wesentlichen Grundformen des Körpers reduzierten Skulpturen über Gesten, Haltungen, Ponderationen und Arrangements des menschlichen Körpers.  Die menschliche Figur, meist stark abstrahiert und in der Regel filigran ausgeformt, transportiert die künstlerische Idee.

„Der Gang“ ist in einem Hohlweg platziert, der hinunter zum Ufer des Blauen Sees führt. Auf einem Stahlrohr, das zwei pfeilerartige, in sich verkrümmte Häuser miteinander verbindet, setzt eine menschliche Gestalt vorsichtig ein Bein vor das andere.  In den Händen hält sie eine leichte Balancierstange. Die dünnen Gliedmaßen und das Geflecht aus Edelstahlbändern lassen die Figur zerbrechlich erscheinen. Beunruhigend ist dabei die Form der Pfeiler. Durch ihre Krümmung scheinen sie zu schwanken. Das lässt das Überqueren gefährlich und die Ankunft auf der anderen Seite als Wagnis erscheinen.

Der „Gang“ zeigt einen Balanceakt ähnlich dem eines Seiltanzes, eine Grenzüberschreitung zwischen Himmel und Erde, zwischen Zukunft und Vergangenheit. Konzentration, Körperbeherrschung, doch vor allem das Halten des Gleichgewichts sind die Faktoren, die den Absturz und den Fall ins Nichts verhindern können.

Der Akrobat in der Nekropole wird somit nicht nur zu einem Sinnbild vom „Tanz über dem Abgrund“, sondern auch zu einer Metapher des Übergangs und der Jenseitsreise. Damit gibt der „Gang“ den Anstoß, darüber nachzudenken, wie wir uns zu unserer Endlichkeit positionieren und was uns nach dem Tod erwartet.

The Walk
The Walk
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv
Gerold Eppler vor E. R. Neles Arbeit
Gerold Eppler vor E. R. Neles Arbeit
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv

Gernot Minke

* 8. April 1937

Lehmkuppel (2021)

Die Grabstätte ist eine konsequente Weiterentwicklung des Kuppelbaus und des Turms, die Gernot Minke für die documenta 14 konzipiert hatte. Der Kuppel fehlt jegliche vordergründige Zweckmäßigkeit. Sie soll niemanden beherbergen oder beschützten, sie ist nicht als Veranstaltungsraum konzipiert oder als Unterkunft, obwohl sie entsprechend genutzt werden könnte.

Der runde Eingang veranlasst die Besucher*innen, sich beim Betreten des Raumes zu verneigen. Beim Aufrichten ermöglicht eine große Öffnung (Opaion) im Scheitelpunkt der Kuppel den Blick in den Himmel. Der Boden aus Basalt, der sich zum Zentrum hin absenkt, verbindet die Anwesenden mit der Erde. Die abgerundeten Formen der Ziegel aus Stampflehm tragen wesentlich zur besonderen Akustik des Raumes bei. In ihre Schichtung erinnern sie an Tholoi, kupfer- und bronzezeitliche Kuppelgräber mit ihren Kraggewölben aus Bruchsteinen, die im ganzen Mittelmeerraum verbreitet waren.

Die Werkstoffe Lehm, Stroh und Stein unterstützen das architektonische Konzept, das in seiner archaischen Anmutung auf etwas Überzeitliches verweist und dadurch die Möglichkeit eröffnet, sich als Teil von etwas Größerem zu begreifen.

Gernot Minke hat mit der Kuppel einen Ort der Kontemplation geschaffen, der mit seinen 24 Sitzen zum längeren Verweilen einlädt, sei es zum gemeinschaftlichen Meditieren, Singen oder Beisammensein.

Die frisch eingeweihte Lehmkuppel
Die frisch eingeweihte Lehmkuppel
Foto: Harry Soremski
© Stadt Kassel
Einweihung des Grabmals mit (v.l.n.r.) Gerold Eppler (Vorsitzender des Kuratoriums), Professor Gernot Minke, Dr. Susanne Völker (Kulturdezernentin)
Einweihung des Grabmals mit (v.l.n.r.) Gerold Eppler (Vorsitzender des Kuratoriums), Professor Gernot Minke, Dr. Susanne Völker (Kulturdezernentin)
Foto: Harry Soremski
© Stadt Kassel

Manfred Schneckenburger

1. Dezember 1938 – 3. Dezember 2019

Denkmal für Manfred Schneckenburger (2021)
entworfen von Ugo Dossi

Am 3. Dezember 2019 starb Manfred Schneckenburger zwei Tage nach seinem 81. Geburtstag in Köln. Am 18. Juni 2021 wurde in der Nekropole am Blauen See ein Denkmal für den zweifachen documenta-Leiter eingeweiht.

Manfred Schneckenburger war auf vielfältige Weise mit der Nekropole verbunden. Bereits am 25. April 1985 nahm an der Gründungsversammlung des Fördervereins Künstler-Nekropole teil. Bis zur Realisierung Harry Kramers Utopie von einem Bestattungsplatz für Künstler*innen unterstützte Manfred Schneckenburger seinen Freund Harry Kramer auf dem Weg durch die Instanzen und wurde mit der Einrichtung der Stiftung Künstler-Nekropole Mitglied des Stiftungsrates.

Das Denkmal von Ugo Dossi für seinen langjährigen Freund wird die Erinnerung an den Ausstellungsmacher und Hochschulprofessor wachhalten. Es oszilliert zwischen Materiellem und Immateriellen. Unverrückbar aus hellem Granit überragt ein Kelch den ein Meter hohen Sockel mit der Namensinschrift des Verstorbenen. Blickt man auf die Skulptur, erscheint in ihrem Umriss das Profil Manfred Schneckenburgers. Als Vexierbild bildet Ugo Dossis Kunstwerk somit die Lücke ab, die der Tod Manfred Schneckenburgers in der Kunstwelt hinterlassen hat. Gleichzeitig ist durch sein Profil der Dargestellte sichtbar und trotz seiner physischen Abwesenheit gegenwärtig.

Denkmal für Manfred Schneckenburger
Denkmal für Manfred Schneckenburger
Foto: Harry Soremski
© Stadt Kassel

Gunter Demnig

*27. Oktober 1947

Circuitus (2011)

Gunter Demnig wurde durch seine „Stolpersteine“ bekannt, die er seit 1997 vor den Häusern von Menschen verlegt, die während der Naziherrschaft ermordet wurden. Angesichts der Kontroversen um seine Kunstaktionen im öffentlichen Raum, in denen sich künstlerische und politisch soziale Handlungsfelder oft überlagern, treten Demnigs plastischen Arbeiten meist in den Hintergrund. Die bizarr verschlungenen Klanginstallationen, die die Grenzen zwischen Musik und Plastik aufheben, sind ebenso wenig bekannt wie die „Hydraulischen Skulpturen“.

Diese sind nach dem Prinzip der Wasseruhren aufgebaut. Sie zählen zu den ältesten Formen der Zeitmessung und wurden in der Antike zum Bewässern der Felder eingesetzt. Weil sich in den Hydraulikskulpturen Statik und Bewegung sowie Dauer und Veränderung als scheinbar widerstreitende Prinzipien verbinden, eignen sie sich auch als Analogie für den Kreislauf von Werden und Vergehen. Und so war nahe liegend, dass gerade diese Werkgruppe den Ausgangspunkt für Gunter Demnigs Grabmal „Ciruitus“ (Keislauf) bildet.

Solange Gunter Demnig lebt, ragt der innere Zylinder hoch empor. Nach Demnigs Tod wird seine Urne in der Skulptur verschwinden und der Zylinder senkt sich nach unten.

Circuitus
Circuitus
Foto: Gert Hausmann
© Stadt Kassel

Ugo Dossi

*1. November 1943

Denk-Ort (2003)

In die acht Stahlplatten wurden mit Lasertechnik verschiedene Piktogramme geschnitten. Im inneren Quadrat zeigen sich vier verschiedene Gesichter des Todes. Auf den Platten des äußeren Quadrats sind Formen der Seele dargestellt. Ugo Dossis künstlerisches Anliegen ist es, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Seine Vorgehensweise verbindet ihn dabei mit Wissenschaftler*innen. Über die Methode des automatischen Zeichnens versucht er, sich die Bildersprache des Unbewussten zu erschließen. Die aus diesem Zusammenhang heraus entwickelten Piktogramme sind Sinnbilder kollektiver Sehnsüchte, Wünsche und Ängste und damit auch von Empfindungen, die der Tod in der Vorstellung der Menschen auslösen kann.

Denk-Ort (2003)
Denk-Ort (2003)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Blalla W. Hallmann

23. März 1941 – 2. Juni 1997

Abendtreffen an der Lichtung – Harrys Abschied (1998)

Anlässlich des Todes von Harry Kramer malte Blalla W. Hallmann dieses Bild für Helga Kramer. Sie stiftete das Gemälde der Nekropole als Erinnerung an Harry Kramer, dessen Asche anonym am Blauen See beigesetzt wurde. 

Blalla W. Hallmann selbst verstarb, kurz nachdem er das Bild für den verstorbenen Freund gefertigt hatte, selbst. Er starb noch bevor er ein eigenes Grabmal für die Künstlernekropole entwerfen konnte. Somit dient das Gemälde seither als Epitaph, ein Grabdenkmal ohne beigesetzten Körper,  sowohl für ihn selbst als auch für Harry Kramer.

Abendtreffen an der Lichtung – Harrys Abschied (1998)
Abendtreffen an der Lichtung – Harrys Abschied (1998)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Heinrich Brummack

19. Januar 1936 – 21. Februar 2018

Vogeltränke (1997)

Die „Vogeltränke“ besteht aus drei Elementen. Eine monumentale kreisförmige Scheibe ruht auf zwei Sarkophagen. Das Achteck in der Mitte der Scheibe ist leicht vertieft, so dass sich Regenwasser sammeln kann. Auf den ersten Blick scheint das Motiv der Vogeltränke für ein Grabmal, das mitten im Wald steht, plausibel. Es ist kein Zufall, dass sich die Schale, die das Wasser auffängt und bewahrt, innerhalb der runden Steinscheibe als Achteck absetzt. Die Acht ist Zahl des glücklichen Neuanfangs. Die Acht wird deshalb im Christentum zum Symbol der Auferstehung und der Neuschöpfung in der Taufe.

Heinrich Brummacks „Vogeltränke“ ist somit Taufstein und Grabmal zugleich. Taufe und Begräbnis, Geburt und Tod, Anfang und Ende werden hier zusammengeführt und bilden eine Einheit. Den Kreis der das Achteck einfasst, kann in diesem Zusammenhang als Sinnbild des Kosmos und als ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen verstanden werden. 

2018 starb Heinrich Brummack. Die Urne, in der seine Asche beisetzt wurde, hat die Form eines goldenen Hasen.

Vogeltränke (1997)
Vogeltränke (1997)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Werner Ruhnau

11. April 1922 – 6. März 2015

Spielraum (1995)

Werner Ruhnau zählte zu den bedeutendsten Theaterarchitekt*innen des 20. Jahrhunderts. Die Gelsenkirchener Theaterbauten (heute „Musiktheater im Revier“), die 1959 eröffnet wurden, setzen bis heute Maßstäbe in der Theaterarchitektur. Unter der Idee der „Bauhütte“ bezog Werner Ruhnau die Bildhauer wie Robert Adams, Paul Dierkes, Norbert Kricke und Jean Tinguely sowie den Maler Yves Klein konzeptionell in die Ausgestaltung mit ein. Die zwei monochromen Bildtafeln an den Außenwänden des Foyers und vier monochromen großformatigen Schwammreliefs in speziellem Ultramarinblau trugen maßgeblich zur internationalen Anerkennung des französischen Malers und Begründers des „Nouveau Réalisme“ bei.

1995 errichtete Werner Ruhnau in der von Harry Kramer begründeten Künstlernekropole seine Grabstätte in Form eines Amphitheaters. Mit seinem Grabmal möchte der Architekt die Besucher*innen zum Mitspielen auffordern. An den vier Toren wurden 1995 von dem Mülheimer Künstler Jochen Leyendecker acht “Wächter”–Köpfe befestigt. Von hier aus führen vier Wege direkt zu den äußeren Umfassungsstreifen des kleinen Amphitheaters im Zentrum der Anlage.

Spiel und Tanz sind auch an diesem Ort zentrale Elemente. Seit der Einweihung probten Werner Ruhnau und Elisabeth Stelkens regelmäßig an ihrem zukünftigen Bestattungsort ihr Begräbniszeremoniell in Form eines Schreittanzes zu einem Trompetenstück von Landgraf Moritz. Dieser Tanz wurde von Familienangehörigen und Freunden auch bei der Beisetzung Werner Ruhnaus am 11. April 2015 aufgeführt. 

Spielraum (1995)
Spielraum (1995)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Karl Oskar Blase

24. März 1925 – 27. Dezember 2016

Momentum (2001)

Karl Oskar Blase war als Grafiker an mehreren documenta-Ausstellungen beteiligt – sowohl als Teilnehmer als auch als Gestalter von Signet, Leitsystemen und Katalogen. In seinem Grabmal „Momentum“ hat er einem Augenblick (Moment) als Monument Dauer verliehen.

Auf einem Pfeiler mit rechteckigem Grundriss thront ein überdimensionales Auge. Auf der Vorderseite wölbt sich die Linse nach außen, auf der Rückseite ist sie eingezogen – wie der Blick des*r Betrachter*in, der*die angesichts des Grabmonumentes möglicherweise – und sei es nur für einen Augenblick – den Blick auch auf das eigene Innerste richtet. Seit 2005 ruht hier auch Marga Blase, die Frau des Graphikdesigners. Karl Oskar Blase verstarb am 27. Dezember 2016.

Momentum (2001)
Momentum (2001)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Fritz Schwegler

7. Mai 1935 – 3. Juni 2014

EN 6355 (1993)

„EN 6355“ ist vielleicht das rätselhafteste Grabzeichen in der Künstlernekropole. Bevor 1993 bei der Errichtung des Denkmals der mit zwei Grabinschriften versehene Deckel des Sarkophags geschlossen wurde, deponiert Fritz Schwegler darin zwei „Notwandlungsstücke“ sowie ein „Abulvenz-Buch“. Schwegler hinterfragte in seinen Arbeiten die Begrifflichkeit der Dinge. Seine Bildcollagen, Kleinplastiken und Wortspiele wirken auf den ersten Blick vertraut. Doch weichen sie durch Veränderungen und Variationen immer vom Alltäglichen ab und fordern so den*die Betrachter*in zum Nachdenken auf.

Fritz Schwegler versah alle seine Ideen und Werke fortlaufend mit „ENs“ sogenannten „ErscheinungsNummern“. So auch die Inschriften „WEISZt DU WEIL ICH HIER BIN UND DU BIST AUCH HIER“ (EN 4826) und „LEBENSMÜDE? – ABULVENZ!“ (EN 6036). Diese werden als Ableitung der Initialien des Künstlers – „Eff“ für „Fritz“ und „Esch“ für „Schwegler“ – als „Effeschiaden“ bezeichnet.

Die Aschenurne des Künstlers sollte ebenfalls im Sarkophag beigesetzt werden, doch sollte es anders kommen. 2014 wurde Fritz Schwegler auf dem Dorffriedhof in Breech bestattet.

EN 6355 (1993)
EN 6355 (1993)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Timm Ulrichs

*31. März 1940

Timm Ulrichs auf der Unterseite der Erdoberfläche (1992)

Timm Ulrichs arbeitet als Konzeptkünstler sowohl multimedial als auch performativ. Als selbsternannter „Totalkünstler“ stellte er auf spektakuläre Weise sein persönliches Endlichkeitsbewusstsein zur Schau. 1977 lief er mit einer Kupferstange auf dem Rücken durch ein Gewitter. 1981 ließ er sich 10 Stunden in einen ausgehöhlten Findling einschließen, und seit 1981 ziert die Tätowierung „THE END“ sein rechtes Augenlid.  

1992 wurde ein Körperabguss des Künstlers aus Bronze kopfüber an der Hangkante des Blauen Sees eingegraben. Der Blick der Betrachtenden fällt durch die Fußsohlen in das Innere der Figur. Die Bronzehülle des Grabmals umschließt somit den Raum, den der Künstler eingenommen hat, als sein Körper abgegossen wurde. Nach dem Tod des Künstlers wird die Skulptur seine Asche aufnehmen.

Kopfstehendes Hohlkörper-Denkmal II (1972/80/90)
Kopfstehendes Hohlkörper-Denkmal II (1972/80/90)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn

Rune Mields

*1935

La vita corre come rivo fluente (1992)

Das Grabmal von Rune Mields besteht aus einer Reihe  weißer und schwarzer Würfel. Nach jedem schwarzen Stein ändert das Band seine Richtung. Es mäandert durch die Wiese wie ein Bachlauf in einer Ebene. In jeden schwarzen Würfel ist jeweils ein Buchstabe eingemeißelt. Die Buchstabenfolge ergibt den Titel des Grabmals “La vita corre, come rivo fluente“.  Da jeder schwarze Stein die Stelle einer Primzahl einnimmt, ergeben sich unterschiedliche Abstände.

Immer wieder bildeten mathematische Phänomene bei Rune Mields den Ausgangspunkt für künstlerische Projekte. Bei der Übertragung rationaler Erkenntnisse in künstlerische Erscheinungsformen bleibt in ihren Arbeiten immer ein unentschlüsselbarer Rest spürbar.

La vita corre come rivo fluente (1992)
La vita corre come rivo fluente (1992)
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv / VG Bild-Kunst Bonn
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