Chinesische Opfergaben aus Papier

Gut ausgestattet ins Jenseits

Opfergaben, China, zeitgenössisch
verschiedene Materialien, u. a. Papier, Stoff, Goldfolie, Kunststoff

In der auf Mitteleuropa ausgerichteten Dauerausstellung des Museums für Sepulkralkultur finden sich unter den wenigen ethnologischen Objekten auch einige aus China: neben bunten Geldscheinen der Bank of Hell sind hier ein Radio aus Pappe und andere Papiermodelle von Alltagsgegenständen zu sehen. Hierbei handelt es sich nicht etwa um Spielgeld und Spielzeug für Kinder, sondern um Gaben für die Ahnen. Diese sind ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Kultur, denn das Wohlergehen der Ahnen ist in China von größter Bedeutung für das ihrer lebenden Nachkommen. In China sind Bestattungen wichtiger als Geburtsrituale und Hochzeiten, denn ihre korrekte Ausführung bestimmt zusammen mit der Todesart die weitere Existenz der Seelen der Verstorbenen und damit auch ihre Beziehung zu den Lebenden. Obwohl in China eine große Vielfalt an Religionen und Kulturen herrscht, kann man doch zumindest die Bestattungsbräuche und Jenseitsvorstellungen gut vergleichen und zusammenfassen. Denn in ihnen verbinden sich Elemente aller drei vorherrschenden Schriftreligionen Chinas mit der chinesischen „Volksreligion“. Hier zeigt sich, wie eng die verschiedenen Religionen im alltäglichen Leben der Menschen miteinander verwoben sind. „Der konfuzianische Ahnenkult fordert die Einbeziehung der Toten in das Leben der Menschen, man ist seinen Vorfahren für sein Verhalten verantwortlich und kann von ihnen dafür Schutz und Segen erwarten. Ein Hauptzweck daoistischer Praktiken ist die Verlängerung des Lebens, im Idealfall die Unsterblichkeit. Für den tatsächlichen Tod ist es trostreich zu wissen, daß der Buddhismus eine Wiedergeburt und ein künftiges Paradies verheißt. Im volksreligiösen Bereich (dem durchaus auch Gelehrtenfamilien zugehören können) sind alle drei Einstellungen anzutreffen.5

Gerade die konfuzianische Lehre vom Gehorsam der Kinder ihren Eltern gegenüber prägt das Verhältnis der Lebenden zu den Toten, für die sie Verantwortung übernehmen und die sie auch nach dem Tod weiter versorgen. Hierzu gehören neben einer korrekt durchgeführten Bestattung auch regelmäßige Opfergaben an die Ahnen, die im Jenseits die gleichen Bedürfnisse haben wie die Menschen im Diesseits. In China geht man davon aus, dass Menschen mindestens zwei Seelen, eine Körperseele und eine Atemseele besitzen. Während die Körperseele nach der Bestattung im Grab bleibt und mit dem Körper vergeht, ist die Atemseele unsterblich. Werden die Totenrituale korrekt durchgeführt, wird diese Atemseele zum Ahnen. Dieser kann die Familie schützen und ihr Wolhstand und Gesundheit bringen. Wird ein Ahne vernachlässigt, erregt das seinen Zorn. Er entzieht seiner Familie seinen Schutz und straft sie. Werden die Totenrituale jedoch nicht ordnungsgemäß durchgeführt, kann die Atemseele nicht zu einem Ahnen transformiert werden und auch die Körperseele kann nicht in das Grab hinabsteigen. Stattdessen werden sie zu gefährlichen Geistern, die die Lebenden verfolgen und sogar töten können.

Vor diesem Hintergrund wird die große Bedeutung der Bestattungsrituale und ihrer korrekten Durchführung verständlich. Wie ein Mensch bestattet wird, hängt von Alter und dem Wohlstand der Familie ab. Alte Menschen, die schon Enkelkinder haben und zu einem Ahnen werden können, erhalten sehr aufwendige Begräbnisse, während Kinder schlichtere Bestattungen erhalten. Wenn ein Mensch gestorben ist, werden Familie, Freund*innen, Bekannte und Nachbar*innen informiert. Da der Tod grundsätzlich als gefährlich angesehen wird, sollten Kinder und schwangere Frauen nicht in die Nähe des Leichnams kommen.

Im Zuge der komplexen Vorbereitungen wird der Körper gewaschen und angekleidet. Dann werden rituelles Papiergeld, sogenanntes Geistergeld, ein ritueller Pass und andere Dinge für die Reise ins Jenseits verbrannt. Wenn der Leichnam eingesargt worden ist, wird der Sarg mit rituellem Geld aufgefüllt und verschlossen. In einer Prozession wird dieser nun zum ausgewählten Bestattungsort gebracht, der zuvor von einem*r Geomantiker*in, also einem*r „Feng Shui-Expert*in“ geprüft wurde, gebracht. Diese Prozession wird immer wieder für Opfergaben an unterschiedliche Geister unterbrochen. Am Grab angekommen, werden weitere Gaben, nun an den*die Verstorbene*n selbst, dargebracht. Diese Opfer, die hauptsächlich aus Geistergeld und Papiergegenständen bestehen, sollen den Toten einen guten Start im Jenseits garantieren und diese so wohlgesonnen stimmen. Auch Speiseopfer werden an das Grab gestellt. Nachdem der Sarg in die Gruft gesenkt wurde, wird eine Ahnentafel darauf gestellt und die Seele des*r Toten wird gebeten, in diese einzufahren. Nach dem Ritual gilt die Ahnentafel als bewohnt und wird in einer Prozession wieder nach Hause gebracht. Dort angekommen, legt die Trauergemeinde ihre Trauerkleidung ab und verspeist gemeinsam ein Festmahl, das auch aus den am Grab dargebrachten Speiseopfern besteht und die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten betont.  Im Zuge weiterer Rituale, die in den nächsten Tagen und Wochen durchgeführt werden, sowie zu den jahreszyklischen Gedenkfesten für die Toten, werden weitere Gaben geopfert. Über diese werden die Verstorbenen mit allem versorgt, was sie für eine angenehme Existenz im Jenseits benötigen.
Die Bedürfnisse der Ahnen decken sich dabei weitestgehend mit denen der Lebenden, da sich Diesseits und Jenseits sehr ähnlich sind. Vor und während der Bestattung handelt es sich zumeist um Objekte, die für die Reise Jenseits benötigt werden. Etwa eine gepackte Reisetasche mit allem, was man unterwegs brauchen könnte, sowie Geld und einen Pass – alles aus Papier – wandern mit ins Grab. Schon während der Bestattung und danach sind es auch Objekte, die den Aufenthalt im Jenseits möglichst angenehm gestalten sollen. So werden Autos, Elektrogeräte, sogar vollständig eingerichtete Häuser – originalgetreu aus Papier gestaltet – geopfert. Diese Gegenstände sind für die Ahnen jedoch erst von Nutzen, wenn sie sich aufgelöst haben. Durch ihre Verbrennung wird diese Umwandlung erheblich beschleunigt und ihre Verwendbarkeit im Jenseits garantiert.
Die Papieropfergaben, von denen wir einige in der Dauerausstellung zeigen, können in speziellen Geschäften erworben werden, die eine reichhaltige Auswahl an Gegenständen bieten. Da sie möglichst originalgetreu sein müssen, damit sie ihre Funktion erfüllen können, sind aufwendigere Gegenstände oft teuer. So können Papierhäuser, die bis ins kleinste Detail nachgebaut wurden, mehrere tausend Euro kosten. Um funktionsfähig zu sein, dürfen die Opfergegenstände vor ihrer Verbrennung nicht beschädigt sein.

Bettina Volk

5 Claudius Müller, Totenkult und Ahnenverehrung, S. 11 in: Claudius Müller (Hg.), Wege der Götter und Menschen. Religionen im traditionellen China, Berlin 1989, S. 132

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