Der Sieg des Lebens

Als sich der Tod verführen ließ – und starb!

"Der Sieg des Lebens (Auch ein Totentanz)"
Robert Budzinski (DE, 1874–1955)
6 Holzschnitte in einer Mappe, 1924

In der Beschäftigung mit Todesbildern vergangener Zeiten stößt man unter anderem auf das Motiv des Totentanzes. Hier zeigt sich der Tod – zumindest auf den ersten Blick – von einer regelrecht unterhaltsamen Seite. So tritt er in der Zeit des Spätmittelalters meist als Musikant in Erscheinung, der zum Tanz aufspielt und diesen Tanz mit einzelnen Vertretern der damaligen Ständeordnung galant vollführt. Zunächst begegnet die seinerzeit als mehrteilige Bilderfolge angelegte Motivkomposition als Monumentalmalerei im öffentlichen Raum bis sie mit der Erfindung des Buchdrucks auch in andere Erzähl- und Darstellungsformen vordringt. Auf diese Weise wird dem ursprünglich christlich motivierten Anliegen, den Menschen mit dem unausweichlichen Ende zu konfrontieren, eine neue, sich beschleunigende publizistische Dynamik zuteil.

Spätestens mit Beginn der Moderne verändert sich das Totentanz-Motiv zusehends. So spielt das Tanzmoment keine dominierende Rolle mehr und die situativen Kontexte, wie ‚Leben‘ und ‚Tod‘ aufeinandertreffen, erhalten – etwa durch einen stärkeren Alltagsbezug – einen individuelleren Charakter. Überdies treten von Sinnlichkeit und Leidenschaft zeugende Szenarien in den Vordergrund, was die Adaption der Motivkomposition von ‚Tod und Mädchen‘ enorm befördert. Kunstgeschichtlich geht diese stark von erotisierter Weiblichkeit getragene Darstellung im Sujet von ‚Tod und Eros‘ auf: Charmant nähert sich der Tod einer nackten Schönheit und umgarnt sie. Obgleich sich die Schöne meist scheu oder gar ablehnend gibt, entzieht sie sich seiner Nähe dennoch nicht – weil sie es schlichtweg nicht kann! Daneben treten vereinzelt aber auch Motivadaptionen in Erscheinung, die mit traditionellen Mustern brechen, etwa indem sie deren Kernaussage ad absurdum führen. Genau dies hat der Künstler Robert Budzinski (1874-1955) in seinem 1924 erstmals erschienenen Werk „Der Sieg des Lebens“ gemacht und dem Totentanz-Motiv eine erneute Zäsur verschafft. Die Allmacht und Unausweichlichkeit wird in dem aus acht Einzel-Holzschnitten bestehenden Bilderzyklus nämlich negiert. Zwar liegt der Fokus auf dem klassischen Motivpaar ‚Tod und Mädchen‘, bei dem ebenso der ‚Tanz‘ Berücksichtigung findet, doch nimmt die Begegnung der Beiden eine höchst ‚unklassische‘ Wendung. Es beginnt damit, dass sich der Tod als Musikant – Violine spielend – einer nackten jungen Frau nähert, die verträumt im Gras sitzt. Bei ihr angekommen, greift er nach ihrer Schulter, was sie dezent abzuwehren versucht. Natürlich aber weiß der Tod, wie er die Schöne betören kann: Mit seiner Geige stimmt er ein Lied an, und tatsächlich animiert dies die junge Frau, sich in seine Arme zu begeben und einen gemeinsamen Tanz – Eng an Eng – zuzulassen. Was sanft beginnt, wird zunehmend wilder und verleiht dem Tod große Entschlossenheit. So hat er die Frau fest im Griff und gewiss wird er – wie könnte es anders auch sein – Herr der Lage bleiben. Doch weit gefehlt, denn plötzlich wendet sich das Blatt! Der Tod verkennt die Energie und Willenskraft seiner Tanzpartnerin und kann nicht verhindern, dass es nicht er sein wird, der aus dem erotischen Stelldichein siegreich hervorgeht, sondern sie – das nackte, pure Leben. Während der Tanz an Eigendynamik gewinnt und Fahrt aufnimmt, beginnt die Frau nämlich sein Skelett zu zerpflücken. Sie packt einen Knochen nach dem anderen und lässt sie allesamt hoch durch die Luft wirbeln. Im letzten Bild hat es sich dann ausgetanzt: Der Tod liegt als jämmerlicher Knochenhaufen am Boden. Auf diesem Haufen kommt die nackte Schöne schlussendlich zum Stehen, hat ihre Hände in die Hüften gestemmt und blickt selbstzufrieden auf ihren darniederliegenden, zerstörten Tanzpartner. Sie hat das Unmögliche vollbracht – den Sieg des Lebens errungen!

Obgleich das klassische Merkmal des Totentanzes nicht darin besteht, dass am Ende der Tod das Zeitliche segnet, sind letztlich doch alle Totentanz-Werke ebenso Ausdruck einer Sekundäraussage, wie sie nur Budzinskis spezieller Bilderzyklus so eindrücklich zu vermitteln vermag: Zwar unterliegt der einzelne Mensch dem Tod, doch bleibt die Menschheit selbst, d.h. die soziale Gemeinschaft aller Menschen in einem abstrakteren Sinn, am Leben. Des Weiteren führt Budzinskis Darstellung vor Augen, dass der Tod ein ständig Lauernder ist, es im wahren Leben manchmal jedoch gelingen kann, ihm – zumindest vorläufig – von der Schippe zu springen.

Dr. Ulrike Neurath

Auszug aus „Der Sieg des Lebens“ (1924) von Robert Budzinski

© Museum für Sepulkralkultur, Kassel

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