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Nachgefragt: CAMPUS VIVORUM

Am 29. Juni 2023 wurde er eröffnet: Der Campus Vivorum in Süßen, Baden-Württemberg. Ein Experimentierfeld, ein Ideengeber für den „Friedhof der Zukunft“, gemacht für die Lebenden. Mit ihm zeigt die Initiative Raum für Trauer, dessen ideeller Träger die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. ist, beispielhaft, wie Trauernden geholfen werden kann. Entstanden ist der Park neben dem Gelände der Kunstgießerei Strassacker.

Wie blickt Günter Czasny, Sprecher der Initiative Raum für Trauer, Projektverantwortlicher des Campus Vivorum und stellv. Geschäftsführer der Kunstgießerei auf die vergangenen Wochen zurück? Wir haben nachgefragt.

Herr Czasny, was war Ihr bislang schönstes Erlebnis seit der Eröffnung des Campus Vivorum?

Ich hatte schon so viele interessante Begegnungen auf dem Gelände. Die berührendsten Momente hatte ich allerdings mit Privatbesucher*innen – dabei haben wir den Park noch gar nicht für Laufpublikum geöffnet und zum Beispiel auch noch gar keine Öffnungszeiten kundgegeben. Viele kommen einfach vorbei und fragen nach, ob sie mal durchlaufen können. Das ermöglichen wir dann gern. Einmal hatte ich eine Begegnung, die mir sehr eindrücklich in Erinnerung geblieben ist. Ein älteres Ehepaar, das über das Gelände lief, erzählte, sie hätten sich noch nicht mit den „letzten Dingen“ beschäftigt, und waren in vielen Dingen unsicher. Während ihres Spaziergangs über den Campus sei ein wunderbares Gespräch voller Leichtigkeit entstanden. Es hatte keine Schwere, über Tod und Sterben zu sprechen. Sie sagten mir: „Als wir uns diese vielen und auch einfachen Möglichkeiten der Umsetzung angesehen haben, hat es bei uns klick gemacht: manche Dinge kann man ja ganz anders machen, als wir dachten.“ Dem Ehepaar eröffneten sich neue Möglichkeiten. Und am Ende ihres Besuchs bei uns stellte sich heraus, dass sich die beiden schon mit der Beisetzung im Friedwald angefreundet hatten. Reaktionen wie diese hatten wir schon einige.

Dann haben Sie schon ein Ziel erreicht?

Uns haben neben Privatbesucher*innen zahlreiche Ehrenamtliche und Professionelle, kommunale Vertreter, Bürgermeister und Verwaltungschefs besucht. Wir hatten eine positive Medienresonanz, die anhält. Journalisten fühlen sich angespornt, anzuknüpfen an die Inhalte und Zielsetzung der Initiative Raum für Trauer und den Campus Vivorum, und die Themen aufzugreifen, die wir damit angestoßen haben. Wir erkennen schon jetzt, dass wir eine Tür zum Dialog geöffnet haben. Doch es gibt noch so viele weitere Türen, die geöffnet werden müssen, so viele Bausteine, um das Gespräch über den „Friedhof der Zukunft“ am Laufen zu halten. Das ist das Ziel der Initiative und des Campus Vivorum: der Friedhof soll in den öffentlichen und kommunalen Fokus gestellt werden. Es muss gefragt werden, ob wir einen Friedhof brauchen und wenn ja, was er anbieten muss, damit sich Trauernde mit ihren Bedürfnissen aufgehoben fühlen. Wenn die Bedeutung und die Wirkung eines Friedhofs den Menschen bekannt ist und verstanden wird, dann findet der Friedhof Akzeptanz und Wertschätzung. Die Botschaft, dass die örtlichen  Friedhöfe hierfür enormes Entwicklungspotenzial besitzen und mit überschaubaren Maßnahmen zu verändern sind, wurde nach unserer aktuellen Einschätzung von den Teilnehmern verstanden.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir haben den Campus Vivorum zwar Ende Juni eröffnet, aber es ist und bleibt ein work in progress. Zum Glück hat bislang alles funktioniert, was angelegt wurde. Das Ziel war ja, den Pflegeaufwand klein zu halten und auf klimaangepasste Bepflanzung und Begrünung zu setzen. Der Regen der vergangenen Wochen hat uns ein großes Wachstum beschert. Was den Besucher*innenzuspruch angeht, haben wir für die kommende Zeit etwa 40 Buchungen für Führungen und Veranstaltungen vorliegen, etwa von Verwaltungen, Gemeinderäten, Betrieben und Hospiz-Gruppen. Im April 2024 wollen wir mit dem Programm im Glashaus starten, um auch Fortbildungen und Tagungen abhalten zu können. Auch hier haben wir schon Buchungen.

Was ist Ihr persönlicher Wunsch? 

Ich wünsche mir, dass sich diese gemeinschaftliche Bewegung, die sich in Gang gesetzt hat, weiter fortführt. Der Campus Vivorum bietet die Grundlage für ein miteinander ins Gespräch kommen. Es geht beim Friedhof der Zukunft auch um die Fürsorgeverantwortung der Kommunen und Kirchen, um das Füreinanderdasein, das Sichtbarmachen von Zusammenhalt. Ich sehe das Projekt auch als Versuch einer Antwort auf eine fragile Zeit, in der das Bedürfnis der Menschen nach einem fürsorglichen Miteinander umso größer geworden ist. Ich wünsche mir, dass wir im Laufe der Zeit auf den Friedhöfen viele erfolgreiche Leuchtturmprojekte erleben können.

Anna Lischper

30.000 Euro für die Neukonzeption

Sparda-Bank Hessen und die Evangelische Bank unterstützen die Neukonzeption des Zentralinstituts und Museums für Sepulkralkultur

Das Museum für Sepulkralkultur befindet sich mitten im Prozess der baulichen und inhaltlichen Neukonzeption. Mit der Sparda-Bank Hessen eG und der Evangelischen Bank eG haben sich zwei Unternehmen gefunden, die den Prozess der Neukonzeption, gerechnet auf drei Jahre, mit jeweils 15.000 Euro unterstützen.

„Die Realisierungsphase der Modernisierung unseres Hauses ist mit einem erheblichen zeitlichen und personellen Aufwand verbunden, der auch finanziell gestemmt werden muss. Ich bin dankbar, dass wir in unserer Region Unternehmen gewinnen konnten, die uns dabei unterstützen“, betont Dr. Dirk Pörschmann, Direktor des Zentralinstituts und Museums für Sepulkralkultur und Geschäftsführer des Trägervereins des Museums, der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. „Die Spendenbereitschaft ermöglicht uns insbesondere die Finanzierung der Stelle einer Projektleitung, die unverzichtbar ist für das Vorantreiben der Modernisierung unseres Hauses“, so Pörschmann weiter.

Die Projektleitung, die die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tatjana Ahle-Rosental innehat, trifft in Zusammenarbeit mit der Direktion wichtige Entscheidungen der Neukonzeption. Bei ihr laufen die Fäden von baulicher Erweiterung durch das Architektenbüro Schulze Berger Architekten Stadtplaner PartGmbB (Kassel) und szenografischer Gestaltung durch das interdisziplinär arbeitende Gestaltungsbüro gewerkdesign GmbH + Co. KG (Berlin) zusammen. Darüber hinaus steht sie in ständigem Kontakt mit der Projektsteuerung, welche die Projekt-Management-Gesellschaft mbH Bau-Real-PMG (Kassel) seit Sommer 2023 besetzt hat. „Aktuell befinden wir uns sowohl, was den Umbau, als auch die Gestaltung der neuen Dauerausstellung und der öffentlichen Bereiche angeht, in der Entwurfsphase. Das ist die Zeit, in der die wichtigen Entscheidungen für das künftige Museum getroffen und alle maßgebenden Akteur*innen ins Boot geholt werden“, so Ahle-Rosental.

„Der Tod gehört zum Kreislauf des Lebens dazu. Umso wichtiger ist es, dass es in Kassel ein Museum gibt, das die Themen rund um den Tod aufgreift und vermittelt“, sagt Ulf Penker, Direktor der Sparda-Bank Kassel. „Für uns als Bank ist es ein Anliegen, diese wertvolle Vermittlungsarbeit zu unterstützen – schließlich gehören ja auch unsere Privatkunden zu den Besucher*innen des Museums, die von dessen Modernisierung profitieren werden“, führt Penker fort. „Das Museum für Sepulkralkultur ist kein Museum wie jedes andere“, sagt Claus Beller, Direktor Vertriebsregion West der Evangelischen Bank. „Vielmehr trägt es durch seine Beschäftigung mit dem Themenfeld des Sterbens dazu bei, die besondere Einzigartigkeit und Würde des menschlichen Lebens zu erkennen. Als werteorientierter Finanzpartner mit christlichen Wurzeln empfinden wir diese Ausrichtung des Museums als besonders unterstützenswert“, so Beller.

Die Dauerausstellung wird neu konzipiert

Die zentralen Aufgaben des Museums für Sepulkralkultur und des zugehörigen Zentralinstituts bestehen seit seiner Gründung 1992 darin, das kulturelle Erbe in den Bereichen des Bestattungs-, Friedhofs- und Denkmalwesens zu erforschen, zu fördern und zu vermitteln. Sie informieren die Öffentlichkeit über den gesellschaftlichen Konsens – aber auch über legitime Konflikte – zum Umgang mit Sterben, Tod und Trauer und veranschaulichen die damit verbundenen kulturhistorischen Hintergründe und Veränderungen.

Ein wesentlicher Fokus der Neukonzeption liegt auf der Dauerausstellung, die momentan gegenüber den wechselnden Sonderausstellungen zurücktritt. Die Dauerausstellung trägt maßgeblich dazu bei, der Öffentlichkeit Geschichte, Bedeutung und Entwicklung der Sepulkralkultur in Deutschland näher zu bringen. Die Neukonzeption hat zum Ziel, den Wandel und die Diversifizierung der Gesellschaft in der Konzeption der Dauerausstellung noch stärker zu berücksichtigen, wozu auch die Inklusion von Bürger*innen unterschiedlicher Herkunft und Weltanschauungen gehört. Bund, Land Hessen und Stadt Kassel erkennen diese wertvolle Arbeit und ihre nationale Bedeutung an und unterstützen die Neukonzeption durch finanzielle Förderung.

Nach aktuellem Stand wird das Museum im Jahr 2027 in neuem Gewand wiedereröffnet werden.

Anna Lischper

v.l.n.r.: Ulf Penker, Direktor der Sparda-Bank Kassel, Dr. Pörschmann und Claus Beller, Direktor Vertriebsregion West der Evangelischen Bank
v.l.n.r.: Ulf Penker, Direktor der Sparda-Bank Kassel, Dr. Pörschmann und Claus Beller, Direktor Vertriebsregion West der Evangelischen Bank
Foto: Nasim Mohammadi
© Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Bildarchiv

Grabstein mit Pfannkuchen

Ein Porträt über Dr.-Ing. Martin Venne, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V.

Ein siebenjähriger Junge geht zu der Ehefrau eines verstorbenen Spielzeughändlers und bittet um den Schlüssel zum Glockenturm, wo der Verstorbene aufgebahrt ist. Er geht zum Friedhof des Dorfes, öffnet die Tür und verabschiedet sich. Der kleine Junge ist Martin Venne. Seit mittlerweile 25 Jahren ist er Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, seit Mai ist er der Vorsitzende des Vorstands. Dem Friedhof verbunden ist der 57-Jährige allerdings bereits sein Leben lang.

Aufgewachsen in einer Totengräberfamilie waren der Tod von Menschen, aber vor allem der Umgang damit, Themen, in die er hineinwuchs. Seitdem er stehen konnte, hatte er alle Toten des Dorfes gesehen und begleitete regelmäßig seinen Vater, wenn dieser Blumen für die Trauerfeier in den Glockenturm der Kirche brachte. So war es ihm auch ein natürliches Vorgehen, sich von dem Menschen, der ihm immer die Matchbox-Autos verkaufte, zu verabschieden. Und sicherlich war es auch das Bedürfnis nach Vergewisserung, das den Siebenjährigen auf diese Idee gebracht hatte.

Der Tod, erzählt Martin Venne, war in seinem Heimatort Avenwedde, einem Stadtteil der ostwestfälischen Kreisstadt Gütersloh, öffentlich. Und er ist es noch heute. Als sein Vater vor einigen Monaten starb, verabschiedete er sich von ihm am offenen Sarg. Er ging mit seiner Familie den Weg von der Kirche bis zum Friedhof, den er schon als Messdiener zahllose Male gegangen war. Damals zog er die Begleitung von Beerdigungen der von Hochzeiten vor, weil man als Messdiener eher als Teil der Trauergemeinde gesehen wurde, bei den Hochzeitsgesellschaften war man außen vor. Auch nach der Beerdigung seines Vaters gab es eine Trauerfeier. Wenn ein Mensch gestorben ist, dann sollte man dessen Leben feiern und die Gelegenheit nutzen, in Gemeinschaft zu sein. Diese Tradition ist Martin Venne wichtig.

Der Enkel des ersten Totengräbers für den kirchlichen Friedhof lernte später selbst im Gütersloher Unternehmen Lütkemeyer den Gärtnerberuf. Erfahrungen hatte er da schon: Brauchst du Geld, musst du tief stechen und weit werfen, hieß es stets. Später schloss er ein Studium der Landschaftsplanung in Kassel an und machte sich währenddessen in Kassel als Landschaftsarchitekt selbstständig. Sein Büro Planrat Venne besteht heute aus einem siebenköpfigen Team, das die Bereiche Friedhof, Denkmalpflege sowie Forschung und Entwicklung abdeckt. Damit trägt der Sohn eines traditionellen Berufs heute mit seinem Fachwissen dazu bei, Tradition zu erhalten und gleichzeitig zukunftsfähig zu machen. Neben der praktischen Arbeit in Friedhofs- und Freiraumprojekten erforscht er mit seinem „friedhofsverrückten“ Team Themenfelder rund um das Friedhofs- und Bestattungswesen – wozu auch die Erhebung friedhofsspezifischer Daten gehört. Teil des Teams ist auch seine Ehefrau Antonia Venne, die Mitglied im Kuratorium Immaterielles Erbe Friedhofskultur ist.

Viel Arbeiten funktioniert für Martin Venne nicht ohne Berufung, deshalb ist es ihm auch wichtig, dass seine Kinder frei entscheiden, welchen Beruf sie ansteuern. Zwei wohnen noch im Elternhaus, die älteste Tochter, 23 Jahre, lernte Vermessungstechnikerin und arbeitet nun auch „bei Vattern“, ein Sohn beginnt jetzt eine Ausbildung zum Schreiner. Martin Venne hat die Erfahrung gezeigt, dass es sinnvoll ist, nach dem Schulabschluss zunächst eine Ausbildung zu absolvieren. Eine Ausbildung ist etwas für das Leben. Es macht viel mit einem, wenn man schon etwas hat, was man kann. Und es sensibilisiert. Einem Bauleiter, der nach dem Abitur direkt studiert, fehlt oft das Feingefühl gegenüber den Gewerken. Stichwort: Wertschätzung.

Das ist auch einer der Aspekte, die aus seiner Sicht die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal so attraktiv machen. So wie die Friedhofsplanung ein Prozess ist, der nur im Team und unter Einbezug aller Beteiligten stattfinden kann, ist es eine Stärke des Vereins, dass hier Menschen aufeinandertreffen, die auf unterschiedliche Weise auf dasselbe Ziel hinarbeiten. Auf den Weiterbestand des Friedhofs etwa.

Der Friedhof, das ist für Martin Venne ein Ort der Verbindung über den Tod hinaus, ein Ort der Zwiesprache, ein Raum für Trauer. Die Kirchen und die Kommunen müssen dafür sorgen, dass jeder Mensch seine Trauer leben und bewältigen kann. Sonst haben wir Menschen, die in ihrer Trauer krank werden. Doch die Aufgabe, jedem Menschen unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen einen Zugang zu Friedhof und Bestattung zu ermöglichen, sieht er auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zehn Schritte nach vorn, drei nach rechts, um den Beisetzungsort des anonym bestatteten Angehörigen zu finden, das ist aus seiner Sicht keine Lösung. Er hat schon Pfannkuchen auf Kindergräbern liegen sehen. Und warum soll es nicht zwei Jahre dauern dürfen, bis der für die Hinterbliebenen richtige Grabstein gesetzt ist. Menschen sollen tun, was in ihrer Trauer hilft. Hinführen zu diesem Bewusstsein betrachtet er als eine Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft, die zum großen Vorteil in der Mitte von Deutschland liegt. Sie soll informieren, kommunizieren und das wertfrei und produktneutral.

Als Vorsitzender wünscht sich Martin Venne, den Fokus auf die Profilbildung zu legen, im Zentralinstitut zunächst kleine Forschungsprojekte anzustoßen oder Wissenschaftler dabei mit der Expertise der Arbeitsgemeinschaft zu unterstützen und sich langfristig auch mit Stellungnahmen nach außen zu positionieren. Eine Drittmittelakquise bietet die Möglichkeit, weitere Stellen zu schaffen und die Bedeutung der Arbeitsgemeinschaft zu stärken. Man kann vieles ehrenamtlich machen, aber eben nicht alles, sagt Venne. Das Museum für Sepulkralkultur eröffnet dabei die Möglichkeit, Wissen über Objekte zu vermitteln. Dass das Haus baulich wie inhaltlich vor der Neukonzeption steht, ist eine Herausforderung. Aber auch eine Riesenchance. Die gilt es in Etappen zu denken – eine Strategie, die es in vielen Bereichen des Lebens braucht. Geduld und Humor sind die beiden Kamele, die durch jede Wüste tragen, steht auf der Website seines Planungsbüros. Beides spielt im (Berufs-)Alltag von Martin Venne eine Rolle. Erfolgserlebnisse sind für ihn wichtig, genauso wie die Geduld zu haben, bis diese eintreffen. Und für den Weg zum Ziel braucht es manchmal eine gute Portion Humor, ist Venne sicher.

Kontakt: Dr.-Ing. Martin Venne; Mail: info@planrat-venne.de

Anna Lischper

Martin Venne ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V.
Martin Venne ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V.
© Nasim Mohammadi

9. Juni 2023

Stadttheater Gießen wird zum Haus der Trauer

Tanzstück „Five Stages of Grief“ von Constantin Hochkeppel thematisiert Trauerphasen

Leugnung – Wut – Verhandlung – Depression – Akzeptanz. Trauer (engl. grief) löst eine Welle an Emotionen aus. Mit den fünf Phasen (engl. stages) der Trauer beschäftigt sich am Stadttheater Gießen das Tanzstück „Five Stages of Grief“. Der Abend lädt an unterschiedlichen Orten des Hauses dazu ein, sich mit verschiedenen Zuständen und Aspekten von Trauer auseinanderzusetzen. Wir sprachen mit dem Regisseur und künstlerischen Leiter der Sparte Tanz, Constantin Hochkeppel.

Was hat Sie auf die Idee gebracht, ein Tanzstück zu den Trauerphasen zu konzipieren?

Meine Inspiration war ein Trauerfall in meiner Familie vor zweieinhalb Jahren. Nach dem ersten Schock und der langen Zeit von tiefer Traurigkeit fiel mir auf, wie sich meine Trauer verändert. Das fand ich spannend als Aufhänger.

Wie haben Sie sich und die Tänzer*innen auf das Thema vorbereitet?

Zum Einstieg in das Thema haben wir Gespräche geführt mit Menschen, die nah dran sind am Thema Tod und Trauer. Mit, Trauer- und Sterbebegleiter*innen des Hospizvereins Gießen und einem Psychiater der Uniklinik Gießen. Darauf basierend bin ich gemeinsam mit Team und Ensemble in die Recherche an uns selbst eingestiegen.

Was haben Sie daraus mitgenommen?

Die Gespräche mit den Trauer-Expert*innen nahmen dem Thema die Schwere. Es ging immer wieder darum, dass Trauer nicht nur die Depression ist, sondern dass wir im Prozess auch andere Gefühle durchleben. Im gesellschaftlichen Bild von Trauer kommt der eigentliche Prozess zu kurz. Trauernde dürfen auch fröhlich sein. Unsere Gesprächspartner*innen sagten allesamt, dass Trauern auch etwas Lustvolles hat. Dem Psychiater war es sehr wichtig, zu betonen, dass es im Trauerprozess auch darum geht, sich um sich selbst zu kümmern. Und die Gespräche mit den Hospizmitarbeiterinnen brachten den Aspekt hervor, dass man sein ganzes Leben lang immer wieder in trauerartigem Zustand sein kann. Etwa, wenn man den geschützten Rahmen des Elternhauses verlässt oder wenn die Schulzeit endet.

Was blieb bei Ihnen persönlich am stärksten hängen?

Trauer verändert einen Menschen. Es ist ein traumatisches Erlebnis, einen geliebten Menschen zu verlieren. Zum einen, weil jemand plötzlich nicht mehr da ist. Aber auch die Frage der eigenen Endlichkeit wird virulent und die Angst und Einsicht, dass noch mehr Menschen sterben werden, weitere Trauerprozesse durchlebt werden müssen.

Wie haben Sie die Phasen künstlerisch umgesetzt?

Wir haben das Bild eines Hauses der Trauer gefunden, hinter dessen Türen sich die Gefühle verbergen. Der Abend ist besteht nicht nur aus Tanz, vielmehr ist ein physical theatre-Stück entstanden - mit theatralen Elementen, wie Figuren, Texten, Szenen und natürlich viel Bewegung. Der erste Teil des Stücks beginnt vor dem Stadttheater und im Foyer. Mitglieder aus dem Opernchor und dem Philharmonischen Orchester sind involviert. Schwarz gekleidete Menschen gehen in sich gekehrt durch das Haus, an einer Stelle performen Tänzer*innen, wieder woanders spielt einer auf dem Cello. Das Publikum bewegt sich während der ersten halben Stunde frei durch das Haus und kann so einen höchst individuellen ersten Teil erleben. Allerdings sind die einzelnen performativen Interventionen nicht nach den Trauerphasen sortiert. Vielmehr haben wir uns von den unterschiedlichen Gefühlen, die dem Trauerprozess zugeordnet werden, inspirieren lassen.

Die Stationen sind also nicht direkt den Phasen Leugnung, Wut, Verhandlung, Depression und Akzeptanz zugeordnet?

Nein, die Tänzer*innen sind innerhalb der szenischen Elemente relativ frei. Sie haben vorab für sich erforscht: Was macht dieses oder jenes Gefühl mit meinem Körper. Bei den Proben haben wir uns intensiv mit den Gefühlen befasst und herausgefunden, dass sie sehr unterschiedliche körperliche Reaktionen auslösen. Bei manchen Tänzer*innen sah man autoaggressive Reaktionen, andere waren wie gelähmt. Das zeigt: Trauer ist extrem subjektiv. Auch nach der Phase der Verhandlung kann man leugnen. Schließlich lassen sich die Tänzer*innen auf den Kontakt mit dem Publikum ein. Der Kontakt ist jedes Mal anders und sie reagieren auch auf die Menschen.

Zum Beispiel?

Es kommt immer wieder dazu, dass sich Menschen zu den Tänzer*innen setzten und ihre eigenen Erfahrungen mit Trauer erzählen. Das ist dann schon etwas Besonderes, weil offenbar ein Raum geschaffen wurde, sich spontan vor fremden Menschen zu öffnen.

Woraus besteht der zweite Teil?

Der findet auf der Bühne statt. Es ist ein durchchoreografiertes 60-Minuten-Stück mit Tanzensemble, Philharmonischem Orchester und Mitgliedern des Chors. Hier erlebt das Publikum Szenen mit intensiven Gefühlsausbrüchen und dynamischem Gruppenverhalten. Wo der erste Teil des Abends eine individuelle Erfahrung war, durchlebt das Publikum den zweiten Teil im Kollektiv. Wo der erste Teil realistisch ist, sich vielleicht auch mehr mit der Außenwahrnehmung beschäftigt, ist der zweite Teil abstrakter und geht nach innen: der Chor ist der Außenblick, der mit den Trauernden nicht umzugehen vermag, die Trauernden durchleben Erinnerungen, Leugnung, Verarbeitung und müssen schließlich akzeptieren, dass die Trauer zum Leben dazugehört. Das alles passiert zu zeitgenössischer Musik von Anna Thorvaldsdottir, Arvo Pärt, Anna Clyne und Ēriks Ešenvalds – vom Orchester live interpretiert.

„Five Stages of Grief“ wurde jetzt schon einige Male aufgeführt. Wie waren so die Reaktionen aus dem Publikum?

Sehr gemischt. Ich habe oft gehört, dass Zuschauer*innen berührt wurden. Viele sind aber auch irritiert über den ersten Teil und hatten Angst, etwas zu verpassen, dabei gibt es da gar nichts zu verpassen, sondern nur zu erleben. Für mich ist Theater eben nicht: Ich gehe rein, setze mich und dann gehe ich wieder nach Hause. Dazu eignet sich das Thema Trauer umso mehr. Das ist eben nicht so, dass man schnell alles durchlebt und damit ist der Prozess abgeschlossen. Trauer ist ein Prozess, der einen das ganze Leben lang begleiten kann.

Die nächsten Termine von „Five Stages of Grief“ sind: Fr. 09.06.und Fr 23.06., 19.30 Uhr sowie So 02.07.2023, 18 Uhr. Nach den ersten beiden Vorstellungen gibt es ein Nachgespräch im Foyer. Karten gibt es im Haus der Karten, Kreuzplatz 6, 35390 Gießen, unter Tel.: 0641-7957 60/61 und theaterkasse@stadttheater-giessen.de

Anna Lischper

Constantin Hochkeppel
© Christian Schuller

3. Mai 2023

ANSEHEN DER UNGESEHENEN

ANSEHEN – Gedenkfeier für einsam Verstorbene fand im April erstmals in Kassel statt

Wer nimmt eigentlich von den Menschen Abschied, die keine Angehörigen oder Freunde haben? Eine Antwort auf diese Frage gab es jetzt im Museum für Sepulkralkultur mit der Veranstaltung "ANSEHEN – Gedenkfeier für einsam Verstorbene". Heilhaus Kassel, die Evangelische Kirche in Kassel und das Museum für Sepulkralkultur hatten sich in Kooperation mit der Stadt Kassel zusammengetan, um durch ein gemeinsames Ritual diejenigen im Gedenken wieder in den Kreis der Gesellschaft zu holen, die zu Lebzeiten und in ihrem Tod aus diesem herausgefallen sind.

„Die Gedenkfeier will ein Ansehen der Ungesehenen bewirken, indem wir als Gemeinschaft auf das schauen, was uns verloren ging“, sagt Museumsdirektor Dr. Dirk Pörschmann. Jedes Jahr sterben mehrere Dutzend Menschen in unserer Stadt Kassel, ohne dass Angehörige sie aus dem Leben begleiten oder sich um ihre Bestattung kümmern. Die Zahl der Ordnungsamtsbeisetzungen hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen, weil immer mehr Menschen keine Angehörigen haben. Die Organisation der sogenannten Letzten Dinge wird zu einem Akt, den die Kommune zu bewältigen hat.

So wurden am Samstag, den 29. April 2023 insgesamt 60 Namen vorgelesen – von 60 Menschen im Alter von neugeboren bis 91 Jahre, die vergangenes Jahr gestorben sind. Sie alle wurden vom Ordnungsamt der Stadt Kassel beigesetzt. Das passiert jeden dritten Mittwoch im Monat um 11 Uhr auf dem Hauptfriedhof. „Wer hier verstirbt, hat das Recht, hier beigesetzt zu werden“, sagt Dirk Stoll, Pfarrer für Bestattungskultur im Stadtkirchenkreis Kassel, der sich um die Beisetzung kümmert. Er hält eine Ansprache, trägt einen Bibelvers vor, dann geht es zu einer Stelle auf dem Friedhof, wo die Urnen der Verstorbenen anonym in einer Reihe beigesetzt werden. Begleitet wird das Ritual von einer Mitarbeiterin des Hospizvereins. Hin und wieder kommen Besucher*innen hinzu, um die Beisetzung zu begleiten.

Zu der Gedenkfeier im Museum kamen weit mehr als hundert Besucher*innen. Sie nahmen auf kreisförmig angeordneten Stuhlreihen Platz, in deren Mitte eine Spirale aus Teelichtern aufgebaut war – 60 Lichter und eine große Kerze, für die einsam Verstorbenen, deren Name nicht bekannt wurde. Musikalisch begleitet wurde der Abend von Klaus-Dieter Ammerbach und Nicole King am Fagott und Regine von Lühmann an der Harfe. Die Namen der Verstorbenen wurden in Blöcken gelesen von Bürgermeisterin Ilona Friedrich, Stadtdekan Dr. Michael Glöckner, Viviane Clauss und Gerhard Paul (Heilhaus) und Dirk Pörschmann, der, wie Katrin Jahns von der Evangelischen Kirche in Kassel zudem einen lyrischen Text vorlas. Anschließend kamen die Besucher*innen in der Cafeteria des Museums für einen Austausch zusammen.

Wer waren die Menschen, die verstarben?

Die Liste mit Namen und Alter der Verstorbenen hatte das Ordnungsamt der Stadt Kassel zur Verfügung gestellt.  Der Großteil der Menschen war älter als 60 Jahre, die meisten von ihnen männlich. Dirk Pörschmann führt das zurück auf die mangelnde kommunikative Fähigkeit von Männern, auch im hohen Alter, vielleicht nach dem Tod der Ehefrau, mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben. „Viele Menschen landen beruflich in einer ihnen fremden Gegend und haben dort dann keine Angehörige, die sich um die Bestattung kümmern können.“ (Dirk Stoll)

Es könne ein Trost sein, so Pörschmann, zu Lebzeiten zu wissen, dass es diese Gedenkfeier für einsam Verstorbene gebe. In anderen deutschen Städten gibt es bereits ähnliche Formate. Die Initiative, eine Gedenkfeier für einsam Verstorbene zu organisieren, kam in Kassel vom Heilhaus. Die Evangelische Kirche in Kassel und das Museum für Sepulkralkultur schlossen sich an. In den kommenden Jahren wird die Gedenkfeier an unterschiedlichen Orten der aktuellen und zukünftigen Kooperationspartnern organisiert werden. Im April 2024 soll die Gedenkfeier im Heilhaus stattfinden.

Anna Lischper

 

 

Foto: Sabine Große
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